Ein kleiner Junge ist stolz
darauf, einen Großvater zu haben, der Figuren schnitzen
kann.
Es ist schon faszinierend zuzusehen, wie langsam aus einem
Stück Holz
„lebendige“ Gestalten entstehen.
Der Junge vertieft sich so in die geschnitzten
Krippenfiguren,
daß sich seine Gedanken mit der Welt der Figuren vermischen:
Er geht mit den Hirten und Königen in den Stall und steht
plötzlich vor dem Kind in der Krippe.
Da bemerkt er: Seine Hände sind leer! Alle haben etwas
mitgebracht, nur er nicht.
Aufgeregt sagt er schnell:
„Ich verspreche dir das Schönste, was ich habe! Ich schenke
dir mein neues Fahrrad
- nein, meine elektrische Eisenbahn.“
Das Kind in der Krippe schüttelt lächelnd den Kopf und sagt:
„Ich möchte aber nicht deine elektrische Eisenbahn.
Schenke mir deinen - letzten Aufsatz!“
„Meinen letzten Aufsatz?“, stammelte der Junge ganz
erschrocken,
„aber da steht doch ..., da steht >ungenügend<
drunter!“
„Genau deshalb will ich ihn haben“, antwortet das Jesuskind.
„Du sollst mir immer das geben, was >nicht genügend<
ist.
Dafür bin ich auf die Welt gekommen!“
„Und dann möchte ich noch etwas von dir“,
fährt das Kind in der Krippe fort,"ich möchte deinen
Milchbecher!“
Jetzt wird der kleine Junge traurig:
„Meinen Milchbecher? - Aber der ist mir doch zerbrochen!“
„Eben deshalb möchte ich ihn haben“, sagt das Jesuskind
liebevoll,
„du kannst mir alles bringen, was in deinem Leben zerbricht.
Ich will es heil machen!“
„Und noch ein Drittes möchte ich von dir",
hört der kleine Junge wieder die Stimme des Kindes in der
Krippe,
„ich möchte von dir noch die Antwort haben, die du deiner
Mutter gegeben hast,
als sie dich fragte, wieso denn der Milchbecher zerbrechen
konnte.“
Da weint der Junge. Schluchzend gesteht er: „Aber da habe
ich doch gelogen.
Ich habe der Mutter gesagt: >Der Milchbecher ist mir ohne
Absicht hingefallen!<
Aber in Wirklichkeit habe ich ihn ja vor Wut auf die Erde
geworfen!“
„Deshalb möchte ich die Antwort haben“, sagt das Jesuskind
bestimmt,
„bring mir immer alles, was in deinem Leben böse ist,
verlogen, trotzig und gemein.
Dafür bin ich in die Welt gekommen, um dir zu verzeihen, um
dich an die Hand zu nehmen
und dir den Weg zu zeigen...“
Und das Jesuskind lächelt den Jungen wieder an.
Und der schaut und hört und staunt...
Walter Baudet
Quelle: Axel Kühner,
Überlebensgeschichten für jeden Tag, Aussaat Verlag
Im Internet unter
Kurzgeschichte für 21. Dezember - Zwiegespräch an der
Krippe
zugesandt von © Heinz Pangels, 2008