Mogo und das sinnlose Fest




Fotographie :Doug Roane Photography


Diese Geschichte ist eine freie Adaption von
"Komm und folge mir" von Paul H. Dunn


Es war einmal ein Mann mit Namen Mogo, für den hatte Weihnachten überhaupt keine Bedeutung.
Wenn es nach ihm ging, war der 24. Dezember der traurigste Tag des Jahres, weil dann viele
Menschen besonders heftig spürten, wie einsam sie eigentlich waren oder wie sehr ihnen
ein geliebter Mitmensch fehlte, der im vergangenen Jahr verstorben sein mochte.

Mogo war ein aufrichtiger Mann, redlich in seinen Geschäften und fürsorglich zu seiner Familie -
und versuchte immer, allen Menschen gegenüber verständnisvoll zu sein.
Doch in einer Sache war er unnachgiebig:
Er konnte einfach nicht begreifen, wie man so naiv sein und glauben konnte,
dass es ein Gott nötig habe, auf die Erde zu kommen, nur um die Menschen zu trösten.
Da er es gewohnt war, seine Überzeugungen entschlossen zu vertreten,
scheute er sich auch nicht, jedem zu erzählen, Weihnachten sei nicht nur kein freudiges,
sondern eben ein trauriges Fest und überdies ein Lügenmärchen:
ein Gott, der zum Menschen werde - lächerlich!

Wie jedes Jahr am Heiligen Abend machten sich Mogos Frau und seine Kinder auf,
um in der Kirche den Tag vor Christi Geburt zu feiern. Und wie jedes Jahr blieb Mogo zu Hause.

"Ich will nicht heucheln, und das würde ich, wenn ich mit euch ginge.
Lieber warte ich hier auf eure Rückkehr."

Als seine Familie fort war, setzte Mogo sich in seinen Lieblingssessel vor dem Kamin und las Zeitung. Doch schon bald lenkte ihn ein ständig wiederkehrendes Geräusch am Fenster von seiner Lektüre ab.

Mogo, der dachte, jemand amüsiere sich damit, Schneebälle gegen die Scheiben zu werfen,
ging hinaus, um den Schlingel auf frischer Tat zu ertappen.

Doch als er die Tür öffnete, sah er einen Schwarm Vögel, die auf ihrem Flug nach Süden
von einen Sturm überrascht worden waren und sich jetzt vor Kälte zitternd im Schnee zusammendrängten. Sie hatten die Wärme des hell erleuchteten Hauses gespürt,
waren jedoch gegen die Fensterscheiben geprallt, als sie darin Schutz suchen wollten.
Dabei hatten sie sich die Flügel verletzt und konnten nun nicht weiterfliegen, bis sie geheilt wären.

"Ich kann die armen Tiere unmöglich hier draussen lassen, denn dann erfrieren sie", dachte Mogo.
"Wie soll ich ihnen bloss helfen?"

Er ging zum Stall hinüber, öffnete das Tor und entzündete ein Licht.
Doch die Vögel rührten sich nicht von der Stelle.

"Sie haben Angst", erkannte Mogo ganz richtig.

Er kehrte ins Haus zurück, holte Brot und streute einige Krumen bis zum warmen Stall.
Doch der Trick funktionierte nicht.

Mogo versuchte es nun, indem er die Arme ausbreitete,
und wollte so die Vögel behutsam in den Stall scheuchen.
Doch damit machte er sie nur noch mehr scheu, sie stolperten übereinander und
flüchteten in ihrer Angst im Schnee hierhin und dorthin, bis sie völlig entkräftet waren.

Mogo wusste sich keinen Rat mehr.

"Ihr müsst mich für ein schreckenerregendes Wesen halten", sagte er laut.
"Seht ihr denn nicht, dass ihr mir vertrauen könnt?"

Und dann rief er verzweifelt:

"Wenn ich doch nur ein Vogel werden könnte, und sei es nur für einen Augenblick,
damit ihr mir glaubt, dass ich euch bloss retten will!"

Da schlug die Kirchenglocke Mitternacht,
und plötzlich verwandelte sich einer der Vögel in einen Engel und fragte Mogo:

"Verstehst du nun, warum Gott ein Mensch werden musste?"

Mit Tränen in den Augen kniete Mogo sich vor dem Engel in den Schnee:

"Vergib mir.
Du hast mir gezeigt, dass wir immer nur denen vertrauen,
die wie wir sind und die fühlen, was wir fühlen."


(c) Paulo Coelho
Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann